REITWAGEN-Artikel zur Teilnahme am Langstrecken-WM-Lauf in Le Mans 2000

Frohsinn In Oschersleben

24 h Rennen - Fluchtpunkt O.

Dort wo der Spasss mit drei S zuhause ist, kommt die österreichische Kunst der kultivierten Niederlage am besten an.

Man hat allen Grund, auf einem 24 Stundenrennen von heiterem Gemüt zu sein. Es sieht aus wie ein Rennen, ist aber keins. Dadurch, daß sich beim Rennstreckenfahren in 24 Stunden nicht notwendigerweise schnelle Fahrer durchsetzen, sondern, wie man sagt, das beste Team, spielt ein äußerst buntes Volk mit ebenso bunten Wesenszügen die große Show "Wir fahren ein Rennen" in der Boxenstraße.

Zum Beispiel in Oschersleben. Ein WM-Lauf übrigens.

Schnelle Leute auf internationalem Topniveau findet man selten, außer sie werden von den Marketing-Schergen ihrer Arbeitgeber in das eine oder andere Langstreckenrennen gezwungen. Die 8h von Suzuka sind z.B. sowas wie der Opernball der japanischen Industrie-Magnaten, auf dem die besten Werksfahrer aus Grand Prix und Superbike-WM als Pausenclowns herumfahren müssen. Obwohl es die meisten GP- und SBK-Stars hassen, gibt es für ein Fehlen keine Entschuldigung. Suzuka hat weder WM-Status noch tieferen internationalen Marktwert, ist aber mit großem Abstand das schnellste, teuerste und edelste Langstreckenrennen der Welt, da es das Rennen um Ehre oder Gesichtsverlust der Präsidenten japanischer Motorradmarken bleibt.

An dem Rennen von Suzuka lassen sich aber jedenfalls die entscheidenden Merkmale für die erfolgreich bezwungene Langstrecke ablesen.

Merkmal 1 bis 10: Geld.

Suzuka ist das einzige Endurance-Rennen der Welt, in dem die Ausgangsidee wirklich bis zu Ende gedacht wird, weil die Japaner einzahlen, daß sich die Balken biegen. Damit werden Organisation, Service und Fahrzeugtechnik so perfide am obersten Rand der Möglichkeiten gehalten, daß die Fahrer-Geschwindigkeit wieder mehr oder weniger in den Mittelpunkt rücken muß. Auf diesem Standard ist der Langstreckensport der teuerste Motorradsport der Erdkugel.

Auf Suzuka- Standard ist es der teuerste Motorradsport der Erde.

Aber auch weit unter diesem Niveau, in dem dann flotte Ex-Stars einer hoffnungsfrohen Fahrerschahr ebenfalls reiferen Alters, aber mit noch unerfüllten Karrierewünschen, voranfahren, sollte man die Kreditkarte dabeihaben.

Die Grundausstattung für ein 24h-Rennen mit Nenngeld (rd. 30.000,-), Motorrad, Reifen, Sprit, Teamunterhalt, Transport usw. ist mit 200.000,- (unter der Illusion eines unversehrt weiterverkaufbaren Motorrads) pro Rennen kein Sonderangebot. Der Aufbau eines Qualifier-Motorrades, das im Training den Bodenbelag wie es sich gehört in Wellen schlägt und dafür näher an die technisch kritische Grenze herangetunt werden kann, bringt gute Startplätze, gehört zum Standard auch mittelmäßiger Privatteams und läßt die Einsatzkosten mit Warpantrieb in die nächste Galaxie entschwinden.

Als Gegenleistung zu den enormen Kosten müssen Sponsoren das sportliche Interesse der Öffentlichkeit an der Langstrecken-WM mit dem Mikroskop suchen (Test: Nennen Sie die Endurance-Weltmeister, ihre Motorräder und ihre Hauptsponsoren der letzten drei Jahre?), obwohl das Kirtagsprogramm eines Endurance-Rennens als Publikums-Event immer besser ankommt. Kein Wunder, daß die Szene in Wirklichkeit mit dem Rücken an der Wand steht: Obwohl Oschersleben als WM-Lauf gewertet wird, erscheinen die Werksteams einfach nicht, weil sie ihr Geld für die paar wichtigen Rennen im Jahr zusammenhalten müssen (z.B. Bol d'Or).

Also ein Haufen alter Spinner auf der Suche nach dem letzten Applaus ihres Lebens unter dem ehrenvollen Banner einer richtigen Weltmeisterschaft?
Musisches Verschmelzen von rührendem Chorgeist, zackigen Durchhalteparolen und auf-die-Schnauze-Fliegen?
Beinahe Proletensport, wenn da nicht die Arroganz des stattlichen Geldeinsatzes wäre?
Langstrecken-Weltmeisterschaft - hier kommen wir!
Klingt nach unserer ganz großen Stärke, quasi ein Heimspiel.

Das Reitwagen-Team wird sorgfältig selektiert. Klausi hat vor einem Jahr den Führerschein erworben und findet Rennfahrer super. Ebenso findet er eine Weltmeisterschaft super und die Atmosphäre, das Nachtfahren und überhaupt alles sehr super. Als zuversichtlicher mittelständischer Unternehmer weiß er somit sein Geld in Oschersleben gut angelegt, denn es wird mit größter Wahrscheinlichkeit ziemlich super.
Peter ist von römischer Erscheinung (Ave!) und versteht viel von den guten Seiten des Lebens. Obwohl er eigentlich nur für Erstellung und Einhaltung des Diät- Speiseplans vorgesehen war, stellt er sich dummerweise als der Schnellste des Reitwagen-Teams heraus und sein Start kann nicht verhindert werden.

Carl ist Reitwagen-Testfahrer, Beamter und Bewegungstalent mit internationaler Weltmeisterschafts-Werks- und Langstreckenerfahrung, wie man allerorts weiß. Es ist damit klar, daß seine Fachgebiete Analyse sowie die Fahrwerksabstimmung entscheidenden Einfluß auf den Rennverlauf haben werden. Erste Einschätzungen des Gegners: "Die meisten sind schneller, aber wenn ich schneller fahren tät, wär ich genauso schnell."

Teamchef Christian verhindert gemeinsam mit 16 unermüdlichen Freiwilligen den Untergang im Chaos und wacht als Ducati-Händler mit entsprechender Aufmerksamkeit über die ausdauernde Zuverlässigkeit des Renn-Bikes: eine Aprilia - gleichzeitig die einzige echte Sensation. Die von Aprilia Austria aufgestellte Serien-Mille hat schon etliche Renn- und Trainingsstunden, auch die eine oder andere Narbe des Outfields, unter verschiedenen Fahrern und ohne enorme Instandhaltungssorgfalt auf dem Buckel. Aber sie rennt von der ersten bis zur letzten Minute. Ohne die geringste Veränderung im Oberton steht die Aprilia 24 Stunden Rennbetrieb und verläßt die Arena locker wippend - das hält nocheinmal 24 Stunden. Ein Qualitäts-Statement, das nicht dem gängigen Bild italienischer Fabrikate entspricht.

Ein Tip: Von größter Wichtigkeit im Endurance-WM-Sport ist die Team-Ausstattung. Hier konzentrierte sich das Reitwagen-Team auf die Erhaltung menschlicher Ressourcen. Eine Strategie, die im Fahrerlager internationale Verwirrung unter Fahrern und Medien stiftete.
Teams, die gewissenhaft gelistet tonnenweise Ersatzteile, Zubehör und Werkzeug in ihre Boxen schlichteten, standen ratlos vor der leeren Aprilia-Garage, in der Teamchef Christian auf ein kleines Werkzeugkistl und eine weitere serienmäßige Neumaschine, das sog. Ersatzteillager, verwies.
"Was soll das?", wollten aufgebrachte Beobachter wissen, die am Zeitkalkül des RW-Teams (jedes Teil erst von einem Motorrad runterschrauben und dann am anderen befestigen?) zweifelten. Das RW-Team erläutert: Am Rennmotorrad wird ein kleines Mobiltelefon befestigt. Sobald der Teamfahrer mit dem Stürzen fertig ist, ruft er in der Box an und teilt in ruhiger Stimmlage defekte Baugruppen mit.

Das RW-Handy: Wenn man mit dem Stürzen fertig ist, ruft man die Box an.

Teamboss Christian: "Bis die verbogene Gurk'n wieder im Fahrerlager ist, haben wir schon längst die erforderlichen Teile von der Neumaschine herunten."
Soweit die Technik.

Zur wichtigen Entspannung braucht das RW-Team seine Ruhezone, nicht zu klein, nicht zu groß. Was nettes halt, unaufdringlich, volksverbunden. Obwohl Aprilia-Neonlogos, Feuerwerkskörper, nackte Nubierinnen und Dalmatiner am Eingang der Schlichtheit zuliebe weggelassen wurden, kommt es zu Mißverständnissen in der Stadt der RW-Teamwohnwagen, die den doppelstöckigen Teambus mit dem Zirkuszelt davor umringen.

"Wo is'n hier die Fahrerbesprechung für die Apriliafahrer?"
"???"
"Naja, also die offizielle Fahrerbesprechung für alle Apriliafahrer?"
"Ahso, Foahrerbesprechung. Naa, do muaßt zu Aprilia Deutschland, des is des Zwaa-Maun Kuglzölt do drübm. Jetzt bist bei Aprilia Austria und mir besprechen nix. Oba du kannst da a Glasl Champagner nehmen, waunst' wüst."

Ernährung und Auffüllen der Energiespeicher - ein ganz wichtiger Punkt. Als Elektrolyt wurde unter der Aufsicht der Team-Physiotherpeutin leichter Champagner und ein nicht zu schwerer Roter präzise temperiert bereitgehalten. Mahlzeiten sollten nicht zu üppig ausfallen. Leichtes Feinwürziges, eher nach der Küche der Bretagne, derbe Sachen eher meiden.
Als PR-Event wurden tatsächlich auch die Hanfnudeln eines Sponsors vor laufender Kamera verzehrt.

Das Training zeigt trotz der sportmedizinisch ausgewogenen Kost ein nicht zu leugnendes Verbesserungspotential - letzter Platz.
Dann der szenische Le Mans-Start: Carl spielt die Sache jetzt scharf und geht als 30. in die erste Kurve. Als er schlimmstens durchgereicht abermals als Letzter aus der ersten Runde zurückkehrt, hallen trockene Befehle im Kommandostand: der Speiseplan wird sofort auf argentinische Steaks umgestellt, kein Champagner mehr bis zum Einbruch der Dunkelheit, nur noch der Rote.

Aufregung im Spitzenfeld. Gegen Mitte der Distanz dürften die eingeleiteten Gegenmaßnahmen zur Wirkung kommen: F. Carl führt mit 19 Runden Vorsprung an erster Stelle vor allen Profi-Teams. Doch der Software-Fehler in der Zeitnahme wird leider entdeckt und behoben. Trotzdem macht die Aprilia Platz um Platz durch schlichtes vor sich Hinfahren gut. Im Team wird mit Kaufhaus-Werkzeug geschraubt, also dauern Reifenwechsel 3 Minuten anstatt der 30 Sekunden, die in erfahrenen Endurance-Teams üblich sind. Trotzdem haben die RW-Fahrer ihr Vergnügen auf der Strecke. Besonders scheint das bunte Geschehen am Streckenrand zu unterhalten. Peter, Verkaufsleiter einer Großbäckerei: "Es foarn alle an dir vorbei, daß di beidelt, aber zwei Runden später gräun's wieder aus'n Gebüsch vire und klauben ihre Trimmer z'samm."

Dann Runden von Spannung, Tragik und Erfüllung, Geschichten von Ritterlichkeit und Freundschaft. Am Ende übernimmt Renn-Initiator Klaus das Ruder von Peter, nachdem dieser "...ich kann nicht mehr..." haucht und eigentlich die argentinischen Steaks gemeint hat. Er fährt die letzten eineinhalb Stunden mit Haltung ("Ich hab wegen so einer depperten Antifog-Folie alles doppelt gesehen..." ) - Platz 33 vor einigen siegtauglichen Topteams, die halt ein sogenanntes Pech gehabt haben.

Berz